„Mama? Hand?“
Wenn Kinder nicht´s alleine machen wollen – und was dahinter stecken könnte.
Unsere zwei Jungs sind ja nicht mehr so klein. Und sie sind in vielen Sachen auch schon recht selbstständig. Kleine und größere Alltagsdinge wie anziehen, Zähne putzen, etwas aufräumen, im Haushalt helfen etc. können sie selber bewerkstelligen. Sie brauchen immer weniger Hilfe.
Je Älter die zwei werden, desto schöner ist der dadurch gewonnene Freiraum für uns.
Am Anfang dürfen wir unsere Kinder in allem begleiten und unterstützen, denn sie sind auf uns angewiesen, damit sie überleben. Ich finde den Gedanken, neben allem schönen, auch immer wieder beängstigend. Diese Verantwortung die wir da haben, dass ein möglichst physisch und psychisch gesunder Mensch heranwachsen soll, ist ganz schön mächtig. Zumindest wenn ich darüber ganz bewusst nachdenke, wächst da ein mächtiger Verantwortungs-Berg vor meinen Augen. Zum Glück steht der da nicht immer so. Ist wahrscheinlich auch ganz gut so. Denn sonst würde ich vermutlich verkrampft versuchen ALLES RICHTIG zu machen…
So kann ich viel eher den Moment mit den Kindern genießen und überlege nicht ständig ob dieses oder jenes negative oder positive Auswirkungen auf die Zukunft hat… Wenn es richtig scheiße gelaufen ist, ist uns das so oder so klar…
Aber zurück zum heutigen Thema 🙂
Immer wieder gab es Phasen in ihrer bisherigen Kindheit, in denen einer von beiden oder manchmal auch beide zur selben Zeit vermehrt nach Hilfe/Unterstützung verlangen. Im Babyalter (noch) mehr Körpernähe, im Kleinkindalter als Spielpartner und jetzt: „Mama, kannst du mir Zähne putzen?“ „Papa, kannst du mir dabei helfen?“ „Mama, kannst du bitte den Teller für mich aufräumen?“ „Papa, kannst du mir die Schuhe ausziehen?“ „Mama? Hand?“
In meinem Umfeld sehe ich ebenfalls immer wieder, dass Kinder ihre Eltern um irgend etwas bitten, auch wenn sie es schon selbst können. Die Reaktionen der Eltern sind sehr unterschiedlich. Manche helfen ihrem Kind ohne groß darüber zu reden. Manchmal wird darüber diskutiert und ein Kompromiss gefunden. Doch ich habe auch schon erlebt, dass Eltern diese Hilfe nicht geben konnten/wollten und darauf bestanden haben, dass das Kind das jetzt alleine machen muss. Es sind dann auch Sätze gefallen wie „Jetzt stell dich nicht so an“ „Sonst machst du das auch alleine“ oder es wurde gedroht „Wenn du nicht fertig bist, muss ich eben alleine nach Hause gehen“ oder mit einer Belohnung gelockt (manipuliert). Es entstand dann oft ein regelrechter Machtkampf darum, wer jetzt der Stärkere ist und wer sich durchsetzen kann…
Und in meinen Kursen & Beratungen taucht immer wieder die Frage auf: „Ab wann sollte mein Kind denn die Dinge alleine machen? Verwöhne ich es nicht zu stark?“
Bitten Kinder wirklich um Unterstützung weil sie zu verwöhnt sind, oder uns provozieren wollen?
Oder sind wir Erwachsene diejenigen, die vielleicht überhöhte Erwartungen & negative Gedanken haben und davon ausgehen, dass wir unseren Kindern das JETZT beibringen müssen. Weil sie es sonst nicht lernen.
In Erwachsenen-Beziehungen wäre es für mich nicht nur unhöflich, eine Frage nach Hilfe mit den Worten „Na das kannst du doch schon alleine – so groß wie du bist“ zu beantworten. Und da unsere Kinder gleichwertige Menschen sind, ist es für uns völlig normal, dass unsere Kinder dahingehend ebenfalls ernst genommen werden und sie diese Hilfe auch bekommen. Wieder einmal mehr fungieren wir hier Eltern als Vorbild.
Hilfsbereitschaft lernen Kinder dann am besten, wenn sie selbst auch Hilfe erfahren und nicht alleine gelassen werden.
Bei der Frage nach Hilfe und Unterstützung verweigere ich diese nicht sofort komplett, nur weil sie etwas theoretisch alleine können. Ich renne allerdings auch nicht mehr sofort los, wenn sie „Hier“ rufen 😉 Es kommt immer auch auf die Umstände an. Manchmal kann man in dem gewünschten Umfang vielleicht gerade nicht helfen – wenn ich keine Unterstützung sein kann, hat das für meine Kinder immer erklärbare Gründe.
Warum erklärbar?
Mir selbst ging es vor einiger Zeit noch so und ich erlebe es auch immer wieder im Umfeld, dass Eltern „Nein“ sagen und das Warum nicht kennen. Und für unsere Kinder ist es unglaublich schwierig dieses Nein dann wirklich anzunehmen. Wir kommunizieren ja nicht nur über Worte, sondern auch über unsere Emotionen, Tonfall, Gestik, Mimik. Wenn wir hier nicht übereinstimmen, kommen doppeldeutige Botschaften beim Gegenüber an und was machen Kinder? Sie fragen nach. Und nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Manchmal ist es dann so, dass wir uns dann nicht fragen Warum unser Kind so oft nachfragen muss, sondern dem kleinen Menschen „auf der Nase herumtanzen“ oder „Schwerhörigkeit“ unterstellen. Dabei müssten wir uns an die eigene Nase fassen…
Wenn wir als Eltern uns klar positionieren, wirklich wissen was wir wollen und das unseren Kindern authentisch & wertschätzend vermitteln, können unsere Kindern damit umgehen. Das bedeutet nicht, dass sie dann immer alles akzeptieren und es keinen Konflikt gibt. Es bedeutet das wir uns „Echt“ zeigen. Mit unseren Wünschen. Bedürfnissen. Grenzen. Und genau das wollen und brauchen unsere Kinder.
Und warum tun Kinder jetzt nun nicht einfach Dinge alleine, wenn sie eine Kompetenz erworben haben?
Es gibt, aus meiner Sicht und Erfahrung, unterschiedliche Gründe:
Ich glaube, dass wir, als Erwachsene und Eltern, manchmal die Erwartung haben, wenn sie etwas selber machen können, dass sie es dann auch immer alleine tun. Und nicht schauen, was hinter dem Verhalten – etwas nicht alleine machen zu wollen oder zu können – als Ursache liegen könnte.
- Das Baby konnte von Anfang an alleine einschlafen – Warum kann es das denn jetzt nicht mehr?
- Das kleine Mädchen hat gelernt seinen Rucksack alleine aufzusetzen und zum Kindi zu tragen – Warum will es das nicht jeden Tag?
- Der Junge kann alleine den Tisch decken oder abräumen – Warum macht er es dann nicht einfach jeden Tag und hilft mir?
- Die Schularbeiten werden normalerweise alleine, ohne Aufforderung gemacht – Warum klappt das heute nicht?
Es gibt vielfältige Gründe warum Kinder (auch für uns Erwachsene!) plötzlich wieder mehr Begleitung im Alltag brauchen.
Verschiedene Entwicklungsphasen
Können Gründe dafür sein, dass unsere Kinder wieder sehr viel mehr unsere Unterstützung brauchen. Gerade wenn unsere Kinder sich auf den Weg machen, neues zu lernen und zu entdecken, brauchen sie die Sicherheit von uns Bezugspersonen. Wenn wir Menschen uns sicher, entspannt und geborgen fühlen, fällt es uns sehr viel leichter zu lernen. Und gerade in den Phasen der Autonomieentwicklung sind Sicherheit & Verbindung für unsere Kinder wichtige Bedürfnisse die erfüllt sein sollten, damit sie sich dahingehend weiter entwickeln können. Vor neuen Herausforderungen zu stehen kann ja auch Angst machen (Übergang Kindergarten – Schule zum Beispiel) und es kann dieser Übergang der Grund sein, warum unser Kind uns im Alltag mehr braucht.
Müdigkeit und Erschöpfung
Kann ein Grund sein. Denn auch der Tag (egal wie lang) im Kindi, oder der Schule ist für die Kinder manchmal sehr anstrengend. Lärm, andere Menschen, andere Abläufe und auch das ständige kooperieren ist anstrengend. Und dann gibt es ja auch Tage, da ist vielleicht im Kindi irgendetwas anders als sonst gewesen. Oder es gab eine Auseinandersetzung mit einem anderen Kind. Oder das Frühstück ist schon zu lange her und der Hunger groß. Oder die Lehrerin war heute zu streng. Vielleicht droht auch eine beginnende Erkältung und es geht unserem Kind auch einfach nicht gut – kann es aber noch nicht sprachlich differenziert ausdrücken.
Mir hilft es immer wieder, vor Augen zu halten WAS meine Jungs tagtäglich für Aufgaben meistern, wenn sie 4-6 Stunden im Kindergarten oder in der Schule sind. Und dann hört der Tag ja noch nicht auf. Hausaufgaben, Lernen, Spielverabredungen, Alltagserledigungen, Hobbys. Und dazwischen verschiedene Menschen die dieses oder jenes wollen, verlangen, erwarten. Wenn wir Erwachsene diese Tagesstruktur tagtäglich bewältigen müssten und dann überwiegend Fremdbestimmt werden würden, wären wir meiner Meinung nach schnell Überfordert und würden rebellieren… Da kann die Frage nach Hilfe einfach ein Ausdruck von Erschöpfung sein.
Unserem Jüngsten war manchmal schon das Schuhe ausziehen nach´m Kindi zu viel und auch, wenn ich nicht immer verstehe warum er so erschöpft ist, kann ich ihn ernst nehmen. Es ist sein Tag, sein Erleben, seine Herausforderungen, seine Erschöpfung. Meiner Ansicht nach, helfe ich ihm mehr, wenn ich ihn verstehe und ihm meine Unterstützung die er braucht anbiete oder gebe, anstatt darauf zu pochen das er das alleine macht. (Über Konsequentes Verhalten habe ich übrigens HIER schon einmal geschrieben.)
Plötzlich „große“ Schwester/ „großer“ Bruder
Wenn ein Geschwisterkind in die Familie dazu gekommen ist, kann es vorkommen, dass das „größere“ Kind wieder mehr Hilfe und Unterstützung einfordert. Das kann kurz nach der Geburt vorkommen, oder auch etwas zeitversetzt passieren. Vielleicht fällt es sogar wieder in ein „babyhaftes Verhalten“ zurück. Auch das ist eine ganz normale Veränderung. Die Geburt eines Geschwisterchen ist die erste biografische Krise die ein Kind erlebt und es ist ganz normal, dass es sich wünscht auch wieder so klein zu sein und so viel Aufmerksamkeit zu bekommen, wie die kleine Schwester, oder der kleine Bruder. Wir als Eltern dürfen darauf eingehen und unserem Kind vermitteln, dass wir für beide Kinder gleichermaßen da sind. Fühlt sich das Kind abgelehnt, nicht wertvoll und geliebt, können daraus Konflikte entstehen die dann das gesamte Familiensystem beeinflussen. Fühlt sich dagegen unser Kind sicher, geborgen und geliebt – so wie es ist – stärken wir dadurch auch die Geschwisterbeziehung und das Familiensystem.
Es kann aber auch die Suche nach Nähe und Verbindung sein,
die unsere Kinder da äußern. Im Alltag fällt es uns Eltern meistens gar nicht auf, was wir alles erledigen, dass unsere Kinder nebenher laufen und das sie vieles alleine – ohne das wir sie darum bitten, machen. Wir vertrösten und lassen unsere Kinder immer wieder warten, weil wir „wichtiges“ zu erledigen haben.
Unsere Kinder vermissen uns, wenn wir arbeiten gehen, beschäftigt sind und sie im Kindergarten o.ä. darauf warten wieder nach Hause, zu uns, zu dürfen.
Wenn sie dann wieder öfter danach fragen, dass wir ihnen die Schuhe anziehen sollen, oder getragen zu werden, oder beim einschlafen immer wieder nach uns rufen, dann ist das meist die Suche nach Nähe. Sie wollen bei uns sein, unsere Wärme und Liebe spüren. Sich verbinden und mit uns in-Beziehung-sein. Und so können wir uns im Alltag immer wieder fragen: Wo sind denn Momente die uns wirklich verbinden? In einem Podcast habe ich übrigens darüber gesprochen wie wir mehr Verbindung im Alltag integrieren können: 5 Impulse für mehr Verbindung im Familienalltag (Spotify)
Ich finde das eine wunderbare Fähigkeit von Kindern. Mich holen solche Momente immer wieder zurück ins „Jetzt“ und verbinden mich mit der Liebe zu meinen Kindern, aber auch zu mir selbst. Und es wird eine Zeit kommen in der sie weniger nach uns fragen. Weniger nach uns rufen. Uns weniger brauchen.
Kinder wollen ganz von allein „groß“ und selbstständig werden. Das hat Mutter Natur schon so eingerichtet. Nicht umsonst ist Autonomie ein Grundbedürfnis von uns Menschen. Kinder wollen selber machen, dabei aber nicht allein gelassen werden.
Für uns große Menschen bedeutet „Selber machen“ meist „Alleine machen“: Ich lass dich in Ruhe, verlasse den Raum, lass dich selber machen. Für unsere Kinder ist es aber ein großes Bedürfnis den Alltag mit uns gemeinsam zu gestalten und so kann auch das „selber machen“ bedeuten, dass wir dabei sein sollen. Gemeinsam erleben – entdecken – lernen – sich freuen – Erfahrungen sammeln.
Wir können es selber machen. Wir können es alleine machen. Wir WOLLEN. Das ist unser bestreben als Mensch: Autonomie.
Wir müssen es niemandem beibringen oder an-erziehen.
Auch unseren Kindern nicht. Was wir unseren Kindern allerdings beibringen können ist, dass die meisten Dinge gemeinsam viel mehr Spaß machen. Und das sie jederzeit gehört und gesehen werden in ihren Wünschen & Bedürfnissen, auch wenn wir nicht alles erfüllen können oder wollen.
Und es gibt unseren Kindern nebenbei so viele wunderbare Werte mit, wie zb. Zugehörigkeit, Liebe, Verbundenheit, das wir Grenzen haben und ihre Grenzen respektiert werden, das Gefühl wertvoll zu sein, mit auf den Weg. Unsere Kinder wollen mit uns gemeinsam das Familienleben gestalten, gerade den Alltag. Denn der gehört zu ihrer Kindheit dazu. Natürlich kostet das mehr Zeit und es ist nicht immer möglich alles gemeinsam zu erledigen, zu besorgen, zu gestalten. Aber wir können unseren Kindern zuhören, wenn sie -nicht-alleine-machen-wollen-oder-können und uns wieder intensiver mit ihnen verbinden.
Wir könnten im Alltag kleine Rituale einbauen. Und etwas gemeinsam schaffen, wie zB. Tisch decken, Handtücher gemeinsam zusammen zu legen, zusammen kochen etc. Und wir können hinter den Wunsch blicken und herausfinden welches Bedürfnis da vielleicht gerade unerfüllt ist und erfüllt werden muss.
Und auf der anderen Seite ist es für unsere Kinder genauso wichtig, sie auch etwas selber machen zu lassen und ihnen nicht alles hinter her zu tragen oder abzunehmen. Nur so kann sich zB. Selbstwirksamkeit entwickeln, oder das Vertrauen das man alleine etwas schaffen kann.
Es ist manchmal ein schmaler Grat auf dem wir uns bewegen zwischen Verbundenheit und Selbstständigkeit. Und auch nicht immer einfach, unsere Kinder bestmöglich zu unterstützen. Doch ich glaube das, wenn wir gut zuhören, achtsam sind und eine liebevolle, gleichwürdige Haltung unseren Kindern gegenüber haben, diese Gratwanderung immer wieder gut gelingen kann.
Alles Liebe,
deine Maria