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„Große Jungs weinen nicht“ – Ein emotionaler Blog zum Tag der seelischen Gesundheit

Ich habe in den letzten 2-3 Wochen immer wieder Vorfälle beobachtet die mich sehr traurig und nachdenklich machen…und es geht mir schlecht mit diesen Situationen – ich reagiere tatsächlich auch mit körperlichen Symptomen, wenn ich sehe, dass seelische Verletzungen entstehen, Machtmissbrauch betrieben wird oder Ungerechtigkeit herrscht. Das mag vielleicht daran liegen, dass ich es zu nah in mich aufnehme, aber ich kann solche Dinge (noch?) nicht rausfiltern. Ich spüre die Verzweiflung und Angst der Kinder, ich spüre die Hilflosigkeit und Angst der Erwachsenen. Ich stelle immer wieder fest, dass wir so unglaublich große Schwierigkeiten damit haben, Emotionen in all ihren Facetten zuzulassen und wir gerade was „negative“ Gefühle angeht immer wieder dagegen ankämpfen. Wir ignorieren, verstecken, überspielen, verleugnen… Und vor allem Kindern gegenüber, die sich ja noch in der Entwicklung in vielen Bereichen befinden, fallen Sätze wie „Stell dich nicht so an“ „Hör auf zu heulen“ „Große Jungs weinen nicht“ „Es ist doch gar nicht´s passiert“ „Sei jetzt ruhig“… Aber ich will es nicht nur auf die Eltern-Kind-Beziehung pauschalisieren, solche Sätze fallen auch in Erwachsenen-Beziehungen… „Was regst du dich jetzt so auf“ „Du bist aber empfindlich heute“ „Na, du hast wohl mal wieder deine Tage“ „Du führst dich ja auf wie in der Midlife-Crisis“… Wie abwertend für das Gegenüber. Keine Wertschätzung. Keine Achtsamkeit. Keine Liebe

Warum frage ich mich? Warum sind wir Menschen, zum Großteil, offensichtlich nicht in der Lage schlechte Gefühle anzunehmen und sie als wertvolles Signal oder Botschaft zu betrachten?

Wir haben soviel Wissen, wir haben soviel Zugang zu Wissen. Aber wenn es darum geht, über Gefühle zu sprechen machen viele noch „dicht“. Aber gerade die emotionale Entwicklung und die Auswirkungen auf das spätere Leben sind so Überlebens-wichtig. Meiner Meinung nach, gehört dieses Wissen zu den Dingen, da wir alle mit Menschen zu tun haben, dass auch überall in Bildungseinrichtungen vermittelt werden sollte. Was passiert in der Entwicklung? Welche Gefühle gibt es? Wie kann ich sie ausdrücken, ohne das ich andere damit verletze? Wie kann ich mir selbst helfen in Zeiten der Wut, Trauer, Angst? Wie finde ich meine Mitte und Balance? Und darauf aufbauend sollte in jedem pädagogischen/sozialen Beruf dieses Thema Pflicht sein. Selbst in meinem Fernstudium zur „Erziehungsberatung“ war dieses Thema kaum präsent. Die kognitive Entwicklung wurde in 3 Heften (ca 160 DinA4 Seiten) ausführlich erklärt. Die Gefühle bekamen einen kleinen Abschnitt in einem der Hefte… Und natürlich ist es auch wichtig zuhause darüber zu sprechen was einen bewegt, wie man sich fühlt. Gerade in „schwierigen“ Momenten sollten wir uns gehört und gesehen fühlen, ohne bewertet und verurteilt und schlecht gemacht zu werden. Aber was ich immer wieder sehe, ist das Gegenteil. Ich sehe wie heutzutage kleine und große Kinder noch behandelt werden – Sie werden weggezerrt, beschimpft, gedemütigt, seelisch verletzt. Ihnen wird die Liebe entzogen. Und wenn sie wieder „in der Spur laufen“ „Brav sind“ „sich beruhigt haben“, dann hat man vielleicht Glück und wird wieder „lieb gehabt“…vielleicht bekommt man aber auch solche Dinge zu hören wie „Na, haben wir uns jetzt wieder beruhigt oder gibt es noch mehr Theater?“ Wieder Öl ins Feuer. Wieder Salz in die Wunde. Dann schnürt sich mir die Brust zu. Dann schmerzt mein Herz und meine Augen füllen sich mit Tränen und ich frage mich: WIE soll es unserer Gesellschaft jemals „besser“ gehen, wenn wir das liebste das wir haben, so behandeln?

Uns geht es objektiv betrachtet natürlich nicht wirklich schlecht…keine Hungersnot, keine Seuchen, kein Krieg vor Ort… Aber in uns und im Leben miteinander sieht es, meiner Meinung nach, nicht gut aus.

Ich weiß, dass Eltern ihre Kinder lieben, dass sie ihnen ein gutes Leben ermöglichen wollen, sie vorbereiten wollen auf das was kommt und das jedes Elternteil es so gut macht wie es eben geht. Und ich habe Verständnis für schwierige Momente, wenn die Nerven blank liegen und die Zeit/Geduld fehlt seinem Kind etwas zu erklären, oder zum 20x an diesem Tag den Wutanfall zu begleiten. Dann handelt man im Stress-Modus, das Gehirn schaltet um auf „Achtung Gefahr – Überlebensmodus“ und wir sind dann einfach nicht mehr Herr der Lage. Wir reagieren so, wie wir es eigentlich nicht wollen – Wie unser Vater oder unsere Mutter damals, oder wie unser Lehrer…je nachdem welche Erfahrungen wir eben auch gemacht haben. Ich weiß das alles. Und kann nachvollziehen warum Erwachsene so reagieren. Jeder von uns hat eigene Prägungen erhalten und in jeder Familie wurde anders mit schwierigen Situationen umgegangen und viele Erwachsene spüren heute das große Leid ihrer damaligen Erziehung. Burn-out, Angststörungen, Essstörungen, Suchterkrankungen und viele andere psychische und auch physische Erkrankungen gehören mittlerweile zum Alltag. Das finde ich ganz furchtbar erschreckend…

Mit was ich aber nur schwer umgehen kann, ist das „Nicht-Bewusstsein“ von Eltern die so immer wieder! handeln und es auch nicht groß hinterfragen, sondern das Kind zum Problem und zum Objekt machen. Ich höre Sätze wie „sie will mich rumführen“ „es sind halt schwierige Kinder“ „Was soll man denn auch machen, wenn es sich so aufführt“ „dann muss man sich halt durchsetzen und konsequent werden“ Leider fehlt mir in solchen Momenten die Schlagfertigkeit und auch noch der Mut dementsprechend zu kommentieren… Ich weiß nicht ob das Produktiv ist, der anderen Person gegenüber (wahrscheinlich nicht), aber mich macht das teilweise richtig wütend.

Woran kann dieses fehlende Bewusstsein liegen?

Ich glaube das ein großer Faktor, wie eben schon beschrieben, bei vielen in der eigenen Kindheit liegt. Die meisten Eltern haben in ihrer Kindheit meist ähnliche Erfahrungen mit nicht erwünschten Gefühlen oder Verhaltensweisen gemacht. Der Umgang zwischen Erwachsenen und Kindern war eben so normal, wurde nicht große hinterfragt und es ist heute oft immer noch so. Als Kind sollte man freundlich, lieb, folgsam sein, aber sich natürlich auch individuell entwickeln –> ein sehr widersprüchlicher und auch fragwürdiger Wunsch. Als Kind war man sich doch wahrscheinlich oft gar nicht sicher welches Verhalten denn nun angebracht oder erwünscht ist – Individuell oder Angepasst? Wenn die Entscheidung nicht die richtige war, in den Augen der Erwachsenen, dann wurde das vermittelt. Wie das vermittelt wurde, war wahrscheinlich in jeder Familie unterschiedlich, aber eines wird sicherlich ähnlich gewesen sein. NICHT das Kind wurde gehört und gesehen und gefragt, sondern das „schlechte“ Verhalten wurde bewertet, verurteilt und dann vielleicht gemaßregelt. Das Kind wurde und wird immer noch zum Objekt dadurch. Nicht der Mensch steht im Fokus. Nicht die Gefühle die dahinter stehen. Nicht die Bedürfnisse die unerfüllt sind und auch unerfüllt bleiben werden.

Und als Erwachsener soll man dann einen starken Willen entwickeln, wenn der Wille immer wieder gebrochen wurde? Als Erwachsener sollst du dich beherrschen können, wenn jemand einen wunden Punkt trifft und nach Möglichkeit konstruktiv mit deinen Gefühlen umgehen können, hast es aber nie lernen dürfen deine Enttäuschung/Verletzung…nach außen zu tragen? Als Erwachsener sollst du deine Fähigkeiten in die Welt tragen, die dir unter Umständen ab-erzogen wurden? Als Erwachsener sollst du wissen, wo deine Grenzen liegen, wo du doch aber gar nicht weißt wo deine liegen, weil sie immer wieder übertreten wurden? Als Erwachsener sollst du andere „gut“ behandeln und weißt nicht mal richtig wie du dir selbst der nächste sein kannst…

Ein anderer Faktor den ich immer wieder wahrnehme, ist das fehlende Vertrauen in die individuelle Entwicklung des Kindes. Es ist egal um was es geht..es gibt für so vieles Methoden oder Trainings: Brust-Entwöhnung, alleine schlafen lernen, Schnuller-Entwöhnung, Kita-Eingewöhnung, Töpfchentraining, Methoden um unerwünschtes Verhalten abzutrainieren und erwünschtes Verhalten zu fördern… Das ein oder andere ist für die ein oder andere Familie vielleicht sinnvoll. Braucht aber jedes Kind Unterstützung in allen Bereichen? Könnten wir nicht darauf vertrauen, dass Kinder von alleine die Fähigkeiten besitzen sich Dinge für IHR Leben anzueignen? In den meisten Familien/Systemen sieht es leider noch so aus, dass Kinder als „defizitäre Wesen“ angesehen werden. Sie können nichts oder nur wenig und Erwachsene müssen ihnen zeigen was und wie sie im Leben lernen müssen. Indem wir unseren Kindern kein Vertrauen schenken, vermitteln wir ihnen auch kein Selbstvertrauen, keine Selbstwirksamkeit, kein Selbstbewusstsein.

Der dritte Punkt, den ich oben schon angesprochen habe, ist das fehlende Wissen um die Bedeutsamkeit der emotionalen Entwicklung und die dadurch entstehenden Zusammenhänge und Verknüpfungen. Über dieses umfangreiche und für mich wichtige Thema werde ich demnächst einen Artikel veröffentlichen.

Es ist eine große Verantwortung sein Kind in der emotionalen Entwicklung optimal zu unterstützen, um Raum zu schaffen für eine gesunde Seele. Eine Verantwortung, die ich meiner Meinung nach, nie meinem Kind übergeben sollte, schon gar nicht wenn es sich in meinen Augen „falsch“ verhält. Erfahrungen, Prägungen, Muster, Werte bleiben unter Umständen ein Leben lang und ich frage mich immer wieder: „Was will ich in den Rucksack meiner Kinder packen?“ Es liegt an mir als Mutter mir dessen bewusst zu sein.

Heute ist übrigens Tag der seelischen Gesundheit… der Artikel mit dem heutigen Thema war schon am entstehen, als ich das heute morgen gelesen habe… vielleicht kein Zufall…

Alles Liebe

Deine Maria

 

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