Keine Angst vor „Verweichlichung“ oder „aggressiven Raufbolden“
Verwöhnen wir zu sehr? Oder sind zu nachlässig?
Ich wollte schon eine ganze Weile mal etwas über so ein „Jungs-Eltern-Dings“ schreiben. Bisher waren meine Beiträge ja eher allgemein gehalten. Nicht das ich besonderen Wert auf „Geschlechterspezifität“ lege, doch ich glaube das es Themen gibt die eher für Mädchen-Eltern interessant sind, bzw. für Jungs-Eltern… In meinem Alltag begegnen mir doch immer wieder verschiedene Ansätze oder auch Glaubensmuster, dass Jungs so sein müssen und Mädchen so.
Vielleicht gibt es Eltern die sich fragen, ob ein Bindungs- und Beziehungsorientierter Weg, auch für Jungs geeignet ist… oder besteht dann die Gefahr, dass sie zu sehr „verweichlichen“?
Tut es Jungs gut, wenn man auf ihre Gefühle eingeht? Ihnen Liebe, Wärme, Nähe, Sicherheit und Geborgenheit vermittelt? Oder wenn wir auf die Bedürfnisse unserer Kinder reagieren und versuchen Bindung & Autonomie in unserem Familienalltag zu leben?
Wenn sie noch klein sind, ist es oft selbstverständlich, dass wir prompt auf Bedürfnisse reagieren und dafür sorgen dass das Bedürfnis nach Nähe, Nahrung, Wärme etc. erfüllt wird…
Und später?
Unsere Jungs sind ja nun schon etwas größer…also so richtig groß natürlich noch nicht, aber eben auch nicht mehr Mini. Je Älter sie werden, desto mehr kommen Themen in unseren Alltag, mit denen wir uns vor ein paar Jahren noch nicht so beschäftigten mussten.
Gerade was unseren Großen angeht, der im Mai schon unfassbare 9 Jahre alt wird…und auch die Wackelzahnpubertät immer wieder Thema ist, wird mir klar, dass er sich immer mehr auf dem Weg zu einem eigenständigen Jungen und irgendwann auch jungen Mann entwickelt. Er braucht uns immer weniger. Er kann sich sein Brot selbst schmieren und für viele seiner Grundbedürfnisse selbst Strategien zur Erfüllung finden. Unsere Meinung ist nun nicht immer das Non-plus-ultra. Er entwickelt seine eigenen Werte, Meinungen und Gedanken. Und beeinflusst wird er auch durch seine Lehrer und Freunde. Sowie auch durch die neuen Medien, die bei uns zuhause gerne genutzt werden… Die Welt wird nach und nach immer größer für unsere Kinder. Und ich frage mich immer wieder, ob wir ihm und seinem Bruder „gutes Rüstzeug“ auf den Weg mitgeben, den sie irgendwann alleine gehen werden.
Muss ich sie abhärten? Ihnen beibringen, dass nur Männer richtig Auto fahren können und dafür verantwortlich sind alleine eine Familie zu ernähren?
Müssen Jungs oder Männer immer den starken Mann markieren? Müssen sie möglichst Tough sein, der Fels in der Brandung, möglichst laut, aggressiv und breitbeinig auftreten?
Evolutionsbiologisch betrachtet, hat das in der Höhlenzeit bestimmt Sinn gemacht. Reviere mussten verteidigt werden, die Familie/ der Clan beschützt werden, jeden Tag sollte Nahrung verfügbar sein. Es gab gefährliche Raubtiere, oder andere Clans die einem gefährlich werden konnten, weil es jeden Tag schlicht und ergreifend ums nackte Überleben ging…
Doch heutzutage habe wir (glücklicherweise) eine andere Umwelt und Umgebung. Und vor allem haben wir die Wahl in vielen Bereichen des Lebens zu entscheiden WAS oder WIE wir unser Leben gestalten wollen. Wir brauchen niemandem mehr die Keule über den Kopf ziehen, weil wir Angst haben das er sonst unsere Wohnungs-höhle besetzt, unseren Kühlschrankvorrat klaut, oder unsere Feuerstelle mitnimmt 😉
Und trotzdem halten sich die Sprüche „Große Jungs weinen nicht“ „Heul nicht wie ein Mädchen“(-> Wobei ich das auch Mädchen gegenüber niemals als gerechtfertige Äußerung betrachte!) „Pass auf, dass er nicht verweichlicht“ „Männer müssen das aushalten“ „Richtige Männer prügeln sich auch mal“
Ich glaube nicht, dass wir in Zukunft männliche Menschen brauchen, die mit der Keule durch die Gegend rennen. Und Worte wie „Emotional“ „Sensibel“ „Kreativ“ „Phantasievoll“ nur dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden.
Ich glaube, dass es unserer Gesellschaft gut tut, wenn Männlein wie Weiblein so sein dürfen wie sie SIND. Egal ob es Fußball-spielende Mädchen sind, emotionale Männer die beim Anblick ihrer frisch geborener Babys weinen, Frauen die als Handwerker ihren Beruf stemmen, oder Männer die sich eine Zeit lang aus dem Berufsleben raus nehmen, um sich um die Familie und den Haushalt zu kümmern.
Es hat sich schon einiges getan und ich persönlich finde diese Entwicklung toll und bereichernd. Ich habe das große Glück einen Mann an meiner Seite zu haben, der sich von Anfang an nicht zu schade war in Küche & Haushalt mit anzupacken, oder darüber zu sprechen WIE es ihm geht. Der mit seinen Kindern gern viel Zeit verbringt und mich in vielen Dingen auch entlastet. Ich finde das gar nicht so selbstverständlich, wenn ich die Generation vor mir betrachte und zum Teil die jetzige Generation, wie Verhaltensweisen/Tätigkeiten/Berufe/Lebensweisen auf Geschlechter aufgeteilt werden. Nicht immer bewusst. Vieles ist so fest in uns verankert, dass manches viel Mut zur Reflektion und Bewusstsein erfordert…
Für uns ist unser jetziger Umgang, Bindungs – und Beziehungsorientiert, mit unseren Söhnen ein guter Weg sie zu unterstützen und zu begleiten. Sie nicht zu etwas zu formen oder zu ziehen.
Sondern sie in dem SEIN zu lassen wie sie SIND.
Keine leichte Aufgabe für uns Eltern mit geprägten Erziehungserfahrungen, den vielen Programmierungen und auch mit dem Zugang zu so vielen unterschiedlichen Empfehlungen, Erfahrungen oder Personen die uns beeinflussen. Jeden Tag geht es auch um das Herausfinden was WIR gut finden und was nicht. Dabei kann es um die Youtube Videos gehen, aber auch um den Umgang mit Gefühlen, Konflikten oder Diskussionen.
Unser Jüngster ist zum Beispiel sensibel und gleichzeitig willensstark. Manchmal eine hochexplosive Mischung und es kommt immer wieder vor, dass er von seinen Gefühlen überflutet wird. Schreit, bitterlich weint und sich in sein Bett zurück zieht. Mir würde nicht einfallen, ihm in diesem Moment zu sagen „Stell dich nicht so an. So heulen ja nur Mädchen“.
Zum ersten, habe ich noch keinen nennenswerten Unterschied feststellen dürfen ob Mädchen und Jungen anders weinen.
Zum zweiten: Wer bin ich denn, als das ich einem anderen Menschen seine Gefühle in diesem Moment absprechen will? Ja das mag ein kleiner Mensch sein. Kleine Menschen haben doch aber genauso Gefühle UND sie sind in der Lage sie zu äußern. Was für eine tolle Fähigkeit! Gefühlsblindheit gibt es, meiner Ansicht nach, noch mehr als genug.
Und drittens, das habe ich oben schon mal geschrieben, finde ich die Äußerung Mädchen gegenüber gemein.
Gefühle zu zeigen hat nicht´s mit dem Geschlecht zu tun. Gefühle sind für alle da! Und ich weiß noch wie berührt ich war, als der kleine das erste mal, nach einem Gefühlsausbruch zu mir sagte „Mama, ich war einfach so traurig als das passiert ist…“ Er hat sein Gefühl selbst erkannt und verbalisiert. Ein großer Entwicklungsschritt. Und nach und nach wurde deutlich, dass er mit seinen Gefühlen immer besser umgehen konnte, weil wir ihn begleitet haben in seinen Emotionen, ihn reguliert haben als er es noch nicht konnte, ihm Wörter dafür gegeben haben und ihm gezeigt haben, dass er so wie er JETZT ist und wie er sich JETZT fühlt, von uns geliebt wird.
Auf der anderen Seite kann er (sowie auch sein großer Bruder) wild, frei, laut spielen und toben. Und sie können beide ruhig am Tisch sitzen und malen oder schreiben, lesen, vertieft Lego bauen, Hörspiele anhören. Sie verfolgen beide ihre Interessen und die schwanken mal mehr, mal weniger. In den letzten Monaten (Na gut, es sind doch eher Jahre… ) beschäftigt sich unser Großer viel mit Star Wars (angefangen hat es mal mit süßen Ritterkostümen, Papphelmen und Holzschwertern…) und im Verlauf dieses Interesses kamen immer mehr Aspekte bezüglich Waffentechnik, Waffenarten, Kriege, Kampfspiele etc. pp. hinzu.
Da komme ich schon in Versuchung das zu unterbinden = zu verbieten. Das wäre meine alte Herangehensweise gewesen, im Sinne von Erziehung. Ich hatte Angst, dass sie Gewalt verherrlichen könnten. Angst, dass sie Krieg als Notwendigkeit betrachten, weil man sonst zu keiner Lösung kommt. Das sie kämpfen, Waffen, Menschen verletzen und töten als normal betrachten und das sie durch das spielen/anschauen/lesen von „Kampf und Krieg“ selbst zu gewaltvollen Mitteln greifen in schwierigen Situationen.
Tun sie das wirklich?
Verherrlichen wir Erwachsene IMMER Gewalt, weil wir Filme wie Star-Wars schauen und lieben, oder Thriller lesen? Welchen Bezug haben wir in diesen Beschäftigungen zum Thema „Gewalt“?
Unser Großer hat mal, in einer sehr intensiven Star-Wars Phase, als sich ALLES um dieses Thema drehte, eine interessante Frage gestellt, als ihm jemand sagte er findet Waffen und Kriege blöd… „Wenn du das nicht gut findest, warum schaust du dann gerne Star Wars an? Da geht es doch um Krieg“
Wir haben uns zuhause auch schon mit dem zweiten Weltkrieg beschäftigt. Weil er gefragt hat. Da war kein Lachen oder Spaß. Da war Ernsthaftigkeit und Betroffenheit. Und das große Unverständnis warum Menschen so etwas tun.
Kinder können deutlich unterscheiden was ein Spiel ist und was Realität. Das geht natürlich nicht von alleine… Wenn wir als Eltern Vertrauen haben, das Spiel begleiten, mitspielen, miteinander sprechen, auch unsere Ängste und Gefühle äußern, Stellung beziehen, Wissen vermitteln und vor allem
in unserem Familienleben keine Gewalt vermitteln, werden unsere Kinder Alternativen zur „Keule“ entwickeln!
Ich habe keine Angst, dass unsere Jungs verweichlichen, oder aggressive Jugendliche werden.
Weil wir sie begleiten, in allem was sie tun.
Wir sind da.
Wir versuchen ihnen vorzuleben, welche Werte uns wichtig sind.
Wir zeigen ihnen, dass es ok ist, sich „schlecht“ zu fühlen und wie man damit umgehen kann.
Wir zeigen uns, so ehrlich wir können.
Wir sind nicht immer perfekt und es entstehen Konflikte, weil wir unterschiedliche Meinungen haben. Weil wir sie, als Beispiel, auch nicht unbegrenzt oder nach freier Wahl Videos schauen lassen. Wir sortieren und reden bewusst darüber. Das führt natürlich auch mal zu traurigen und enttäuschten Gemütern. Gleichzeitig haben wir dann eine klare Meinung und eine Verantwortung gegenüber unseren Kindern. Und wir haben eine klare Haltung unseren Kindern gegenüber, die uns ermöglicht, mit ihnen auf Augenhöhe Konflikte zu lösen.
Und hier ist es doch egal ob ich einen Jungen, oder ein Mädchen vor mir habe. Werte die uns Menschen betreffen, um das Zusammenleben in einer Gemeinschaft zu gestalten, können meiner Meinung nach nicht in weiblich oder männlich unterschieden werden.
Ich finde es toll, wenn Frauen sich klar und stark positionieren können und gleichzeitig Einhörner lieben.
Oder wenn Männer in der Küche stehen und ihre Familie bekochen und gleichzeitig eine starke Schulter und Arme zum beschützen anbieten! 😉 ♥
Alles Liebe,
deine Maria