„Bis hierhin und nicht weiter“ Warum „Nein“ sagen wichtig ist – 3
Die eigenen Grenzen erkennen, wahrnehmen und äußern
In meinem letzten Artikel drehte sich einiges um die Grenzen der Kinder… Natürlich haben auch Eltern (und jede andere Person die mit uns, oder unseren Kindern zusammen ist) Grenzen. Auch sie sind ganz unterschiedlich. Es gibt lt. Juul grob gesagt zwei Arten von Grenzen – die generellen, die immer dann allgemein gelten wenn wir uns irgendwo befinden (wie verhalte ich mich in der Gesellschaft – Familie, Verein, Schule etc.) und die persönlichen Grenzen. Sie sind von ganz individueller Natur und abhängig von der Stimmung, des Temperaments, Hintergründe, der Persönlichkeit etc.
Im Familienalltag ist jeder Tag anders, sowie auch jede Person individuell ist. Und jeden Tag muss man sich wieder neu aufeinander einstellen. Schauen wie es dem anderen geht, welche Bedürfnisse sind heute wichtig, wie stehe ich heute zu meinem Partner/meiner Schwester/meinem Bruder, wo muss ich mich heute positionieren, wie geht es mir… Das sind alles Dinge die meistens eher unbewusst passieren und unsere Reaktionen/ Handlungen beeinflussen.
Im Normalfall werden wir eine grundlegende Linie in unserem Denken/Tun und Handeln haben und Menschen die mit uns häufig zusammen sind können uns ganz gut einschätzen und wissen wie wir „ticken“. Was uns gut tut, was uns verletzt, wie weit sie gehen dürfen. (Die meisten zumindest 😉 ) Um unsere Grenzen kennen zu lernen durchlaufen wir alle einen (lebenslangen – da sich einige Grenzen auch verändern) Lernprozess und es dauert ca. 10 Jahre, sich seiner Grenzen klar zu werden.
Kinder sind noch im Entwicklungsprozess und ich habe im letzten Artikel schon darüber geschrieben, warum es aus meiner Sicht wichtig ist das wir ihre Grenzen wahren.
Und mindestens genauso wichtig ist es auch, dass wir als Eltern unsere Grenzen deutlich vermitteln!
Wir sind (im Normalfall) die ersten und wichtigsten Bezugspersonen und von uns erhalten unsere Kinder die Werkzeuge für ein Leben in der Gesellschaft. Sie erfahren die generellen Grenzen (wie verhalte ich mich in der Gesellschaft, was ist angebracht und was nicht) und sie erfahren von uns was persönliche Grenzen sind. Fast alles, was sie in den ersten Lebensjahren erfahren und vermittelt bekommen, wird ihr ständiger Begleiter sein – auch im Erwachsenenalter. Und das unsere Kinder unsere Grenzen kennen lernen liegt in unserer Verantwortung! Ich finde das für mich sehr wichtig, mir darüber bewusst zu sein… und mir die Frage zu stellen: Welche Grenzen brauche ich um mich mit meiner Familie wohl fühlen zu können? Und das ist beinahe tagtäglich eine neue Herausforderung. Ist es da wirklich ein „Wunder“, das Kinder jeden Tag aufs neue versuchen herauszufinden wo unsere persönliche Grenze heute liegt?
Wenn wir uns also darüber im klaren sind, welche Grenzen für uns persönlich wichtig sind (wobei wir das erst bemerken, wenn diese Grenze von jemandem übertreten wird bzw. wir eine Grenze verletzen) ist es auch wichtig zu wissen WIE wir diese Grenzen für unsere Kinder formulieren. Es gibt einen großen Unterschied, zu der Kindererziehung von vor 30-40 Jahren, wie man Kindern Grenzen vermittelte und viele Eltern wollen es heute anders machen. Gründe hierfür sind zum Beispiel das Wissen über die kindliche Entwicklung und auch die veränderte Haltung bezüglich der kleinen Menschen. Wir selbst werden im Alltag mit unseren Kindern immer wieder mit „alten“ Verletzungen aus unserer Kindheit konfrontiert und wollen es meist „besser“ machen. Statt Anpassung und Gehorsam sind Gleichwertigkeit, Entwicklung und Verantwortung in die Mitte gerückt. Und im Prinzip ist es für Kinder nicht schwer Grenzen einzuhalten – wenn ihre persönlichen Grenzen nicht verletzt oder völlig niedergerissen werden.
Um unsere Grenzen zu vermitteln dürfen wir eine persönliche Sprache wählen:
- Ich will… Ich will nicht…
- Die Sprache ist warm, ganz egal ob man „Ja“ oder „Nein“ sagen will
- Wenn wir etwas sagen, sollten wir es auch so meinen, von uns sprechen und es dann auch so betonen – Es ist meine Meinung… Manchmal lohnt es sich genauer hinzuschauen, ob ich selbst auch wirklich diese Meinung vertrete.
- Unser Standpunkt sollte ohne verdeckte Kritik, Appelle oder Herablassungen geäußert werden
- Erklärungen helfen unserem Kind, die Grenze besser verstehen zu können: „Ich will das wir gemeinsam anfangen zu essen und aufeinander warten, weil jeder in unserer Familie wichtig ist und mir das wichtig ist.“
- Wenn es keine richtige Erklärung gibt kann man das auch sagen – „Ich fühle es für mich so, warum es so ist weiß ich nicht“
Wenn unsere Kinder uns (vermeintlich) auf der Nase herumtanzen, kann das ein guter Anhaltspunkt sein, um zu schauen wo für sie eventuelle Unklarheiten vorliegen. Es kann nämlich sein, dass sie sich im Kontakt mit den Eltern unsicher fühlen. Weil die Sprache nicht persönlich ist. Oder weil sie etwas anderes spüren als die Eltern sagen…
Ein anderer Aspekt kann sein, dass wir die Grenzen unserer Kinder übertreten (durch körperliche oder seelische Verletzungen – Drohen/Strafen/körperliche Züchtigung) und das, was wir ihnen vorleben wird ihre Familienkultur.
Jesper Juul: „Behalte die Reaktionen des Kindes im Auge und nimm sie ernst.“
In der jetzigen Attachment Parenting, Unerzogen- oder Beziehung- statt Erziehung Haltung, wird manchmal davon ausgegangen das wir nicht mehr „Nein“ sagen dürfen zu unseren Kindern und wir unsere Bedürfnisse/Grenzen nach hinten stellen, damit das Kind möglichst viel Freiraum für Entwicklung oder Entfaltung hat. Das ist für mich völliger Blödsinn und eher Laissez-faire Erziehung.
Die oben genannten „Modelle“ (die sie ja eigentlich gar nicht sind) beinhalten eine Grundhaltung zum Menschen. Es geht um den Wert des Menschen. Und es geht darum die Kinder zu führen. Ihnen vorzuleben welche Werte, Grenzen und Regeln für mich wichtig sind.
Wenn Kindern der gleiche Wert als Mensch zugestanden wird, gibt es keine Unterschiede zwischen den Menschen, egal ob sie groß oder klein sind, WIE ich mit ihnen umgehe.
Es geht um Authentizität und Sicherheit. Das ist ein Grund warum unsere Kinder uns immer wieder herausfordern und hinterfragen. Nicht weil sie uns provozieren wollen oder nicht mit uns kooperieren wollen. Sie wollen uns kennen lernen – so ganz in echt, live und in Farbe. Und wenn sie den Eindruck haben, dass wir unsicher sind, nicht klar in unserer Meinung, werden sie das herausfinden wollen und x-mal fragen ob das jetzt wirklich so oder so ist…und ob sie nicht doch das oder das dürfen…
Fiona vom Blog unverbogenkindsein hat es in ihrem Artikel: Nicht erziehen und trotzdem >Nein< sagen. Geht das? so schön beschrieben:
„Ich möchte sogar behaupten, dass der Verzicht auf Erziehung überhaupt nur dann funktionieren kann, wenn du lernst, nicht nur auf dein Kind, sondern auch auf dich selber zu schauen. Genauso, wie ich nämlich meinem Kind zugestehe Bitten abzulehnen, und regelmäßig die Kraft aufbringe Situationen anzunehmen, wenn ich mich von meinen anerzogenen Glaubenssätzen löse, kann ich aber auch die dringende Notwendigkeit sehen, ›Nein‹ zu sagen, um meine Bedürfnisse in einer bestimmten Situation zu erfüllen. Das ist okay. Das gehört dazu. Es geht nicht nur ums Kind.
Sonst nämlich leben wir gar nicht ohne Erziehung, sondern drehen bloß das Machtverhältnis um. Dann dominiere zwar nicht mehr ich Zwergnase, aber dafür Zwergnase auf subtile Art und Weise mich. Das ist genauso wenig sinnvoll, wie Erziehung.“
Ein liebevolles „Nein“ zu äußern, oder unsere Grenzen mit Klarheit zu äußern kann sehr herausfordernd sein. Wir müssen dann die Traurigkeit, die Wut oder den Frust auch mal aushalten können. Denn dann können wir uns nur voneinander abgrenzen und „Ja“ zu uns selbst sagen ♥ Ein wichtiger Wert den ich meinen Kindern gern mit auf den Weg geben möchte!
Alles Liebe,
deine Maria