Geschwister – Konflikte aushalten und begleiten
Ich selbst bin mit zwei Schwestern aufgewachsen und heute unglaublich dankbar, diese zwei Menschen an meiner Seite zu haben, mit denen ich schon viel erleben, lernen, wachsen durfte.
Das war nicht immer so und ich kann mich noch gut an die Zeit erinnern, in denen die eine nervig und die andere blöd war. Konflikte waren manches Mal an der Tagesordnung… Unsere Eltern durften einiges mit uns erleben und es war wahrscheinlich nicht immer ganz einfach den Alltag mit uns drei zu gestalten 😉
Streit zwischen den Geschwistern ist mit eine der stressigsten Situationen für uns als Eltern im Alltag. Und je nachdem wie gut oder weniger gut es uns geht, können wir mal einfühlsam reagieren, oder sind selbst schnell gereizt und genervt.
Ursachen für Konflikte zwischen Geschwistern gibt es verschiedene.
Ganz am Anfang steht die „Entthronung“ im Vordergrund, wenn ein Geschwisterkind dazu kommt und aus einem Einzelkind plötzlich ein „großer“ Bruder, oder eine „große“ Schwester wird. Für unsere ersten ist dies die erste große Krise die sie durchleben und wir als Eltern werden herausgefordert feinfühlig auf Signale und Verhaltensweisen zu reagieren. Nicht immer einfach, wenn die ganze Familie sich wieder neu zusammen setzt…
Aber auch später, wenn die Kinder schon ein bisschen größer sind kommt es zu Streitigkeiten und auch hier kann die „Entthronung“ noch ein Rolle spielen. Geschwister sind Rivalen. Sie werden in eine Familie geboren und müssen sich sämtliche Ressourcen der Eltern teilen. Besonders Aufmerksamkeit, Zeit, Liebe. Unsere Kinder entscheiden sich nicht für das neue Baby, wir als Eltern sind es die diese Entscheidung treffen und es wäre eine zu große Erwartung davon auszugehen, dass sich Geschwister IMMER lieb haben, IMMER vertragen und IMMER glücklich darüber sind, dass sie sich haben.
Ambivalent Gefühle sind völlig ok.
In einer Familie in der unterschiedliche Menschen, mit unterschiedlichen Bedürfnissen zusammen leben sind Konflikte ganz normal. Sie gehören dazu. Wir lernen. Wachsen. Entwickeln uns weiter. Und unsere Kinder lernen in der Familie den sozialen Umgang miteinander. Das ist das erste Feld in dem sie sich ausprobieren können, Erfahrungen sammeln und sie trotzdem in Sicherheit sind. Und Geschwister sind eine ganz wunderbare Möglichkeit das Sozialverhalten zu trainieren. Wie weit kann ich gehen? Wo ist meine Grenze? Und deine? Was sind Strategien die mir helfen?
Teilen. Diskutieren. Kuscheln. Streiten. Sich verbünden. Spielen. Treten. Vertragen.
All das gehört dazu.
Übrigens je geringer der Altersabstand, desto eher kommt es vor allem in jungen Jahren zu Konflikten, da ja die Ressourcen der Eltern noch knapper sind, als bei einem größeren Altersabstand zwischen den Kindern.
In Entwicklungsphasen wie zB. der Autonomiephase, oder auch der Pubertät können Konflikte ebenfalls vermehrt im Alltag zwischen den Geschwistern auftreten. Wo der kleine Bruder eben noch zufrieden war, mit dem Spielzeug das man ihm hingelegt hat, kann es morgen schon sein, dass er sich beschwert wenn er nicht DAS Spielzeug bekommt, das er will.
Und wenn die lieben „kleinen“ in die Pubertät kommen und wir als Eltern das Glück haben einen Jungen und ein Mädchen zu haben, dann könnten schon mal die Zimmertüren knallen, weil die zwei sich wahrscheinlich in dieser Zeit nicht wirklich riechen können. Mutter Natur hat das ganz schlau eingefädelt, damit innerhalb der Familie kein Nachwuchs gezeugt wird. Und ja, das passiert tatsächlich über die Geruchsnerven. „Ich kann dich gut riechen“ kommt nicht von ungefähr.
Insgesamt verläuft die Beziehung zwischen den Geschwistern wellenartig. Nah verbunden und dann wieder voneinander entfernt. Und das ist vollkommen ok und normal.
Wenn Konflikte auftauchen, weil Eifersucht, oder die Nase nicht passt, oder weil aus der Situation heraus gerade einfach ein Konflikt entstanden ist, kann es passieren, dass wir uns zu schnell einmischen und dann Partei ergreifen für eines der Kinder. Für unsere Kinder ist das nicht immer ideal (das einmischen) und wenn wir Partei ergreifen, fühlt sich das andere Kind schlecht und wird wahrscheinlich erst recht sauer auf sein Bruder, seine Schwester sein.
Vor allem wenn das immer wieder vorkommt und ein Kind häufiger als der „Schuldige“ dargestellt wird, entfacht das die Eifersucht und die Beziehung kommt noch mehr ins Ungleichgewicht. Auch wenn ein Kind regelmäßig zu uns kommen mit der Aussage „Der hat Blödmann zu mir gesagt“ oder „Die hat mich gehauen“ kann das ein Signal für uns sein, mal genauer hinzuschauen, ob wir eventuell ein Kind häufiger in Schutz nehmen als das andere. „Petzen“ wird das umgangsprachlich genannt und kann ein Zeichen dafür sein, dass das „petzende Kind“ weiß das der Bruder/die Schwester den Ärger abbekommt…
Wie können wir als Eltern Konflikte begleiten, damit die Beziehung zwischen den Kindern gestärkt wird?
Zu erst einmal stelle ich mir die Frage, bevor ich mich einmische: Warum willst du dich jetzt einmischen? Was ist dein Bedürfnis? Ist es wirklich notwendig, weil Gefahr im Verzug? Oder bin ich einfach genervt und gereizt und ICH habe das Problem mit der Streiterei? Wenn ich mir diese Frage ehrlich beantwortet habe, entscheide ich mich wie ich reagiere. Zugegeben, dass klappt natürlich nicht immer und ich reagiere nicht immer ideal und doch schaffen wir es viele Momente für uns gut zu lösen.
Wenn ich nicht einschreite: Aushalten – Atmen – Aufmerksam sein. So manches Mal können unsere Kinder Konflikte ganz alleine lösen. Dabei müssen wir Eltern mit dieser Lösung nicht einverstanden sein. Wichtig ist das beide Kinder ihr JA zu dieser Lösung signalisieren. Es ist ja auch schließlich ihre Beziehung.
Einschreiten: In Streiterein finde ich es hilfreich empathisch zuzuhören (nach Marshall B. Rosenberg.) Dabei geht es darum beiden Kinder aufmerksam zuzuhören. Interesse zu zeigen. Echtes Verständnis zu vermitteln und auch Lösungstrategien zu entwickeln.
Dies sind die einzelnen Schritte:
– Beobachtung: Ich höre es ist gerade sehr laut bei euch. Ist alles in Ordnung? Antwort abwarten
– Gefühle: Ihr ärgert euch beide gerade sehr über etwas? Beide Kinder sprechen lassen. Jeder darf sein Anliegen los werden.
– Bedürfnis: Du ärgerst dich also, weil du mit dem Auto gespielt hast und dein Bruder es dir einfach weggenommen hat? Für das andere Kind: Bist du sauer geworden, weil es dein Auto ist und er dich nicht gefragt hat? Beide Kinder dürfen wieder antworten. Wir als Eltern können hier auch nochmal echtes Verständnis vermitteln „Ja das ist wirklich blöd gelaufen und dabei wolltet ihr doch miteinander spielen“
– Bitte: Als Eltern können wir dann fragen, ob die Kinder eine Idee haben wie eine Lösung aussehen könnte. Oder wir bieten eine an. Manchmal kommen die Kinder auch schnell selbstständig auf eine Lösung. Oder es ist plötzlich gar nicht mehr so schlimm, weil sie sich verstanden fühlen und dem Ärger konstruktiv Luft gemacht werden konnte.
Das wichtigste für unsere Kinder ist, dass wir als Eltern so unvoreingenommen wie möglich in so eine Situation rein gehen. Und wir nicht vorschnell urteilen, wer was gemacht haben könnte…BEIDE haben sich geärgert. Und jeder für sich hatte einen Grund so zu reagieren, wie er es getan hat.
Das braucht ein bisschen Übung und Zeit, aber es lohnt sich!
Manchmal ist der Konflikt vielleicht auch ziemlich schnell hoch gekocht und die Fäuste fliegen, bevor wir auch nur „Halt“ sagen können. Hier finde ich es wichtig, dann einzuschreiten, wenn ein Kind zB. deutlich jünger ist als das andere, oder der Kampf ungerecht/unfair ausgefochten wird. Ich glaube nicht, dass wir immer sofort eingreifen müssen. Sich körperlich auszudrücken ist eine Strategie die man anwenden kann und Kinder machen auch hier noch die Erfahrung ob und wann das sinnvoll ist. Die Impulskontrolle funktioniert noch nicht richtig und zu erwarten, dass Kinder sich hier regulieren und nicht zurückschlagen wäre bis zum Grundschulalter überhöht (auch darüber hinaus kann das noch passieren!). Grenzen werden deutlich gemacht. DAS ging zu weit. Kinder sind in solchen Situationen hilflos, weil sie noch keine anderen Strategien haben und wir als Eltern zeigen ihnen Alternativen, leben unsere Streitkultur vor.
Wenn es passiert und wir dazwischen gehen, können wir als Eltern erstmal nur die Kinder voneinander lösen und trösten. Für beide Kinder sind das Erfahrungen die sich blöd anfühlen und beide Kinder brauchen Zuwendung. Das ist nicht immer einfach und wir können wahrscheinlich auch nicht immer allen gerecht werden… Das ist manchmal so in einer Familie. Erfahren Kinder grundsätzlich Wertschätzung & Begegnungen auf Augenhöhe können sie damit gut umgehen. Sie sind stärker als wir häufig denken.
In Hau-Schlag-Beiß-Kratz- Momenten macht es wenig Sinn an den Verstand zu appelieren á la „Ihr sollt doch nicht hauen“ „Ich hab euch doch schon so oft gesagt, dass wir uns hier nicht schlagen…“ Der Verstand funktioniert nicht. Was wir tun können ist über die Emotionen eine Verbindung aufzubauen. „Du bist sehr wütend, tu deinem Bruder trotzdem nicht weh.“ „Ich sehe euren Zorn, ich will trotzdem nicht das geschlagen wird.“ Wenn sich die Gemüter beruhigt haben, können wir wie oben beschrieben empathisch Zuhören und gemeinsam nach Strategien suchen.
Grundlegend geht es bei Geschwisterkonflikten und in der Beziehung zu den Geschwistern immer wieder darum, dass wir als Eltern BEIDE Kinder in ihrer Individualität, den unterschiedlichen Bedürfnissen, Temperamenten, Charaktereigenschaften sehen und verstehen. Was für das eine Kind gut funktioniert, kann für das andere Kind schwierig sein. Was dem einen Kind gut tut, muss dem anderen nicht auch gut tun. Und so liegt es in unserer Verantwortung unseren Kindern aufrichtiges Interesse entgegenzubringen und ihnen eine verantwortungsvolle, konstruktive Beziehung vorzuleben. Und ihnen auch immer wieder zu signalisieren „Das ist eure Beziehung und wir trauen euch zu, diese Beziehung zu gestalten.“
Im Kontakt mit anderen Menschen gehören Konflikte dazu.
Die gelöst werden können. Gemeinsam. Und auf Augenhöhe.
Alles Liebe
Deine Maria ♥