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Die Wut. Ich wüte. Er/Sie/Es wütet. Wir wüten. Kinderwutanfälle.

Vor einer Weile habe ich angefangen hier über das Thema „Wut“ im Familienalltag, genauer gesagt über die elterliche Wut, zu schreiben. Ich stelle immer wieder fest, dass das ein Thema ist, das gerade im Alltag mit Kindern recht präsent ist. Es wühlt uns auf. Lässt uns manchmal hilflos vor Situationen stehen, oder Dinge tun die wir so nicht für möglich gehalten hätten. Manchmal verzweifeln wir. Und vielleicht kommt der Gedanke auf, das wir in solchen Momenten nicht die Eltern sind, die wir sein wollen.

Wir haben das bestreben liebevoll mit unseren Liebsten umzugehen. Verständnis zu haben. Lösungen zu finden. Kompromisse zu schließen. Wir wollen zuhören und verstehen.

Verstehen.

Das ist für mich ein ganz wesentlicher Bestandteil im Alltag mit Kindern. Doch um zu verstehen, ist es wichtig mir Wissen anzueignen. Was passiert in meinem Kind? In welcher Entwicklung befindet es sich gerade?

Und damit du in Zukunft vielleicht anders als bisher mit der kindlichen Wut umgehen kannst, möchte ich mit diesem Artikel ein paar Informationen mit Dir teilen, wenn es um die Wut im Kindesalter – besonders in der sogenannten „Trotzphase“ geht. Denn ich glaube, dass es uns leichter fällt Verständnis zu entwickeln, wenn wir um gewisse Phasen und Entwicklungen wissen.

ICH kann etwas BEWIRKEN.

In den ersten 1 1/2 Jahren, betrachten sich unsere Kinder als eins mit der Umwelt und erst nach und nach entdecken sie, dass sie eigene, von der Umwelt getrennte Personen und Persönlichkeiten sind – mit einem freien Willen. Sie stellen fest – und das ist ein wunderbarer, wichtiger Entwicklungschritt, dass sie SIE sind. Sie betrachten sich nun nicht mehr als Einheit mit der Umwelt und beginnen zu verstehen, dass sie Entscheidungen treffen können. Das sie Dinge beeinflussen können.

Und dann kommen wir Eltern und wollen alles so wie bisher machen. Anziehsachen raus legen. Helfen beim anziehen, oder gänzlich übernehmen. Das Vesper in der roten Brotdose einpacken. Möglichst pünktlich aus dem Haus kommen. Im Kindersitz anschnallen… Bisher alles gut organisierbar und der Alltag lief wahrscheinlich auch recht routiniert ab.

Plötzlich heißt es „Nein, das will ich nicht anziehen!“

„Nein, alleine machen“ „Nein, nicht die Dose“ „Nein, nicht gehen“ „Nein, nicht anschnallen“ „Nein, Nein, Nein!!!“

Oder unser Kind beschließt die Socken alleine anzuziehen. Probiert. Versucht. Doch es klappt einfache nicht. Der Frust & die Wut wird immer größer.

Und dann steht vor uns ein wütendes Kind. Stampfend. Brüllend. Hochrotes Gesicht. Weinend. Sich wehrend. Und wir verstehen die Welt nicht mehr. Und das bleibt auch irgendwie keine Ausnahme. Immer wieder hören wir das Wort „Nein“ von unserem Kind. Immer wieder rollen dicke Tränen, weil etwas nicht klappt. Und immer wieder stehen wir vor wütenden kleinen Menschen und wir verstehen einfach nicht warum zum Beispiel der rote Pulli so ein großes Problem darstellt…

Kinderwut

Allgemein wird diese Phase als „Trotzphase“ bezeichnet – viele glauben, dass Kinder sich absichtlich auflehnen und einfach trotzig, bockig, zickig sind. Ist das wirklich so?

Was passiert?

Wie oben schon beschrieben entdecken unsere Kinder ab dem ca 1,5 Lebensjahr, dass sie getrennt von der Umwelt bestehen. Sie sind eine Person. Und sie können etwas bewirken. Wir Menschen wollen etwas bewirken. Selbstwirksamkeit gehört mit zu unseren Grundbedürfnissen. Dadurch machen wir Erfahrungen. Wir lernen und entwickeln uns weiter. Stärken das Vertrauen in unsere Fähigkeiten und werden selbstsicherer. Wir können uns unsere Umwelt gestalten und sind somit auch in der Lage Situationen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Wir wollen für andere wichtig sein und den Alltag selbstwirksam mitgestalten.

Es ist ein Bestreben von uns Menschen, autonom zu sein. Wir wollen nicht in Abhängigkeit zu anderen Menschen unseren Alltag bewältigen. Da wir, wenn wir auf die Welt kommen, von unseren Bezugspersonen sehr stark abhängig sind, ist es nur natürlich im Laufe unserer Entwicklung immer mehr Autonomie anzustreben. Und auch vorgeburtlich strebt jedes Lebewesen, trotz – oder gerade wegen der innigen Verbindung, Wachstum und Entwicklung an.

Wenn wir als Eltern uns in unsere Kinder hineinversetzen und uns vorstellen, wie das wohl wäre, wenn da jemand ist der uns immer wieder vorschreiben will WIE, WANN und WAS wir zu tun haben – obwohl wir doch SELBER machen wollen, können wir vielleicht eine Ahnung bekommen, was denn so schwierig für unsere Kinder ist. Ich für meinen Teil wäre wahrscheinlich sehr frustriert…

Die Bedürfnisse Selbstwirksamkeit und selbstständig zu sein, werden nicht erfüllt. Gefühle wie Enttäuschung, Traurigkeit, Zorn & Wut kommen hoch und überrennen dieses kleine System. Der Wut – anfall ist da.

Logische Erklärungen sind hier wenig hilfreich, wenngleich sie die Situation sogar oft noch verschlimmern.

Und warum ist das so?

Das hat mit der Entwicklung des Gehirns zu tun. Der emotionale Bereich ist weiter entwickelt als der kognitive und das ist evolutionär betrachtet auch sehr sinnvoll so, denn somit können Babys Gefühlsregungen, Stimmungen so unfassbar gut aufnehmen und auch wiedergeben. Sie brauchen diese Fähigkeit um sich an ihre Bezugspersonen zu binden, Kontakt aufzunehmen und auch Ängste/Gefahr zu spüren und zu äußern.

Allerdings, wenn Kinder in die Phase der Autonomie kommen, werden sie von heftigen, unbekannten, starken Gefühlen überflutet, wenn etwas nicht so klappt wie sie es sich vorgestellt haben. Gefühle die sie so nicht kennen und das kognitive Gehirn sozusagen „lahm“ legen.

Das passiert dann, wenn Kinder von ihrer Zielvorstellung abweichen müssen. Die Fähigkeit von Vorstellungen abzuweichen und Pläne zu ändern wird erst in dieser Phase erlernt. Die Struktur im Gehirn ist am Anfang sozusagen noch sehr unflexibel, starr und erst im Laufe der Zeit, lernen Kinder damit umzugehen, wenn sie von Vorstellungen abweichen müssen. Wobei, ich kenne auch Erwachsene die sich zeitweise schwer tun ihre Pläne umzuändern, weil es die Situation erfordert… 😉 (mich eingeschlossen!)

Im Gehirn findet zu dieser Zeit ein Systemausfall statt. Und jeder der schon einmal einen heftigen Wut – anfall miterlebt hat, weiß wahrscheinlich was ich meine. Unser Kind ist nicht mehr ansprechbar. Manche „vergessen“ zu atmen. Oder müssen sich übergeben, vor lauter weinen und schluchzen. Der emotionale Bereich im Gehirn hat den kognitiven ausgeschaltet.

Ein weiterer Punkt, der für uns und unsere Kinder wichtig ist, ist die noch nicht ausgereifte Sprachentwicklung. Unsere Kinder lernen erst, sich sprachlich auszudrücken. Jeder Erwachsene hat wahrscheinlich schon einmal die Entwicklungssprünge, bezüglich der Sprache, in diesem Alter bemerkt. Es ist manchmal unglaublich in welcher Geschwindigkeit Kinder sprechen lernen… Haben wir Menschen Bilder, Begriffe und Worte für etwas, fällt es uns leichter es einzusortieren und auch damit umzugehen. Kinder in dem Alter haben diese Worte noch nicht. Sie lernen die Welt ja erst kennen.

Kinder lernen also noch Gefühle einzuordnen, zu verbalisieren und damit konstruktiv umzugehen, dafür brauchen sie Erwachsene die sie in diesem Prozess begleiten (der im übrigen bis zum 16-17. Lebensjahr andauert)

Und das bedeutet, dass wir Eltern feinfühlig auf die „Suche“ gehen dürfen, wenn wir erfahren wollen was bei unserem Kind den Wut – anfall ausgelöst hat. Es kann uns noch nicht sagen: „Hey Mama, ich bin traurig wenn du einfach über meinen Kopf hinweg entscheidest was ich anziehen will.“ Und wenn wir wollen das unsere Kinder im Laufe der Entwicklung alle Gefühle kennen lernen, sich auszudrücken lernen, um dann wiederum nicht mehr hilflos dieser Welle ausgeliefert zu sein, ist es wichtig sich auf die Suche einzulassen. Um unser Kind zu verstehen, zu begleiten und zu co-regulieren. Es kann sich noch nicht alleine regulieren, das können Kinder erst ab ca. dem 6 Lebensjahr, wobei das nicht heißt das wir sie dann alleine lassen sollten!

Unsere Kinder sind nicht absichtlich böse, wollen provozieren, uns austesten, sich gegen uns auflehnen, uns auf der Nase herumtanzen, uns um den kleinen Finger wickeln oder sonstwas. Kinder mit starken Gefühlen in schwierigen Situationen brauchen Hilfe und Unterstützung! Und vor allem brauchen sie Liebe!

Gedanken und Impulse

Viele Eltern fragen immer wieder: Was mache ich denn in solchen Situationen? Was kann ich tun, damit das aufhört? Wie gehe ich mit dieser Wut um?

Natürlich ist es unglaublich anstrengend wenn unsere Kinder so wütend werden. Wir als Eltern wollen, dass es ihnen gut geht. Sie nicht traurig sein müssen. Wir wollen ihnen helfen es „schnell wieder gut zu machen“. Doch das ist unter Umständen nicht hilfreich für unsere Kinder. Immer wieder abzulenken, die Gefühle des Kindes zu übergehen, oder klein zu reden unterstützt unser Kind in dieser Phase nicht dabei auch „negative“ Gefühle kennenzulernen und zu integrieren.

Wir müssen nicht sofort alle Probleme auflösen und Lösungen anbieten. Es reicht für unser Kind da zu sein und herauszufinden, was der kleine Mensch und wir gerade brauchen. Und so individuell wie wir Menschen und Situationen sind, kann das immer wieder variieren. Das unterstützt die gesunde emotionale Entwicklung unserer Kinder und in diesem Zusammenhang auch die physische. Wir unterstützen unser Kind dabei Resilienz zu entwickeln, also die Fähigkeit auch mit „schlechten“ Situationen gut umgehen zu können und nach einem „Niederschlag“ wieder aufstehen zu können.

Es gibt natürlich trotzdem ein paar Impulse, wie wir Eltern „handeln“ können. Diese helfen uns und unserem Kind Emotionen kennen zu lernen, anzunehmen, einzuordnen & Strategien zu entwickeln.

  • Gefühle authentisch spiegeln. Das Kind ernst nehmen. Verständnis zeigen. „Du ärgerst dich gerade sehr, weil der Socken nicht anzuziehen geht.“ „Ich ärger mich auch, wenn etwas nicht klappt“ Die Botschaft sollte unser Kind auf der emotionalen Ebene erreichen, denn hier ist es aufnahmefähiger und wird sich vielleicht „schneller“ beruhigen können, wenn es hört und fühlt das wir WIRKLICH Verständnis haben. Ehrlich zu sein, ist hier ein ganz wichtiger Punkt. Außerdem finden wir Worte für unser Kind für die Emotion, so kann es nach und nach Vorstellungen, Bilder entwickeln und selbst dafür Worte finden.
  • Grenzen erkennen, wahrnehmen und auch einhalten. Die des Kindes („Lass mich in Ruhe“), aber auch eigene Grenzen signalisieren („Ich will nicht gehauen werden“) Werden wir in solchen Situationen grob und übergriffig unserem Kind gegenüber, senden wir eine widersprüchliche Botschaft. Außerdem bedeutet das für unser Kind: Die Grenzen des Stärkeren muss ich einhalten. Meine Grenzen sind nichts wert.
  • Manchmal wissen unsere Kinder in solchen Momenten nicht, was sie brauchen. Und das ist ok. Und auch wir müssen es dann nicht wissen. Unser Kleiner schwankte gerne zwischen „Lass mich in Ruhe“ und „Geh nicht weg“. Wir setzten uns dann mit ein bisschen Abstand neben ihn und warteten ab. Hielten mit ihm gemeinsam aus. Signalisierten: Wir sind da.
  • Geduld. Manche Wutanfälle gehen so schnell wieder, wie sie gekommen sind und andere dauern gefühlt eine Ewigkeit. In dem Moment ist es so wie es ist. Versuchen wir dabei zuviel zu erklären, zu beschwichtigen, oder fangen wir sogar an zu drohen, zu bestrafen wird es unserem Kind in dem Moment nicht helfen. Es kann ja vieles was wir sagen gar nicht aufnehmen. Und es wir unserem Kind nicht dabei helfen sich emotional gesund zu entwickeln. Es kommt auf unsere Haltung in dem Moment an. Zugewandt, liebevoll – in Beziehung und Verbindung zueinander.
  • In der Öffentlichkeit kann es helfen sich in diesen Momenten einen Rückzugsort zu suchen. Einen geschützteren Raum für alle Beteiligten. Was brauchst du? Was braucht dein Kind? Der Fokus darf hier auf deinem Kind und auf dich liegen. Die anderen sind in diesem Moment nicht wichtig.

Diese Entwicklung ist ein großer Schritt in die eigene Unabhängigkeit und Selbstständigkeit. Das macht die Phase nicht weniger anstrengend, für alle Beteiligten, trotzdem kann es uns Eltern vielleicht helfen unser Kind besser zu verstehen und zu unterstützen. Im Laufe der Zeit, mit der Entwicklung des Kindes und unserer feinfühligen Begleitung, werden die Wutanfälle weniger werden!

In dieser Zeit brauchen uns unsere Kinder. Sie tanzen uns nicht auf der Nase rum – sie brauchen Hilfe. Sie testen uns nicht aus – sie brauchen Begleitung, Verständnis, Trost und Liebe.

Und auch wir Eltern dürfen in dieser Zeit besonders gut auf uns achten. Wie zum Beispiel eine Extraportion Eis mit der Lieblings TV Serie am Abend, nach einem entspannendem Schaumbad 😉

Alles Liebe ♥

deine Maria

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